Stück für Stück stirbt ein Gesamtkunstwerk
Es gibt keine einfachen Lösungen, um den Wald zu retten. Böden in Südwestfalen massiv versauert.
Schmallenberg. Wenn Frank Rosenkranz, Leiter des Regionalforstamtes Oberes Sauerland, in diesen Tagen über den Wald redet, dann spricht er gerne von einem „geschädigten Gesamtkunstwerk". Denn die Bäume sind Alleskönner: Sie filtern die Luft, binden Kohlenstoff, bieten Lebensraum für andere Pflanzen und Tiere, schützen die Böden, fördern die Trinkwasserqualität, in Massen erfreuen sie die Menschen, liefern Arbeitsplätze und Produkte. „Es geht bei den aktuellen Schäden nicht nur um Euro und Festmeter". sagt Rosenkranz. „Alle Waldfunktionen leiden.“
Jetzt stirbt dieses Gesamtkunstwerk Stück für Stück - und die Politik diskutiert mit Experten über Erste-Hilfe-Maßnahmen und eine Langzeittherapie. Mitte der Woche trafen sich auf Einladung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion hochrangige Forstexperten in Berlin. Teilnehmer sprechen von einer sehr konstruktiven Diskussion. Der Ernst der Lage ist erkannt, jetzt geht es um die konkrete Umsetzung der Pläne und die Verteilung der Fördermittel. Im Gespräch sind gut 900 Millionen Euro.
„Es gibt keine einfachen Lösungen", sagt Rosenkranz. „Die Welt ist nicht wieder in Ordnung, wenn wir jetzt einfach überall Douglasien oder Esskastanien pflanzen." Der Klimawandel verlaufe einfach zu schnell für den Wald. Bäume, die bisher als klimaresistent galten, zeigen nur deutliche Schadensbilder. Rosenkranz: „Das Ökosystem ist überfordert.“
Und das Ökosystem besteht nicht nur aus Bäumen. „Auf einem Drittel der Waldfläche in Deutschland sind die Böden so sauer, dass sie die Wurzeln der Bäume vergiften", sagt Klaus von Wilpert von der Interessengemeinschaft Waldbodenschutz. Der ehemalige Leiter der Abteilung Boden und Umwelt der Forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt.
Foto: Frank Rosenkranz, Leiter des Regionalforstamtes Oberes Sauerland mit Sitz in Schmallenberg.
Freiburg kritisiert das aus seiner Sicht fehlende Problembewusstsein für dieses Phänomen. „Das Zusammenwirken der sauren Böden mit den Klimafaktoren erfordert ein schnelles Handeln“, fordert von Wilpert. Es habe keinen Sinn, auf sauren Böden neue Bäume zu pflanzen.
Und die Konsequenz? „Es muss wieder gekalkt werden", so der Experte.
Ältere Mitbürger haben die Bilder der über den Wäldern kreisenden Hubschrauber aus den 80er Jahren noch im Kopf. Damals machte der saure Regen den Bäumen das Leben schwer Ursache: Schadstoffe aus Industrieschloten, Fahrzeugauspuffen und Landwirtschaft. Die Schwefeleinträge sind seitdem zwar gesunken, weil Katalysatoren und Filter vorgeschrieben wurden. Andere Stadtstoffe, etwa die Stickoxide, breiten sich weiter aus, weil der Straßenverkehr zunimmt.
Besonders betroffen ist davon übrigens das Sauerland, „weil der Westwind schädliche Substanzen aus dem Ruhrgebiet und den Beneluxländern zuverlässig in das Land der 1000 Berge pustet. Dort sind die Böden massiv versauert", sagt von Wilpert. „Die natürliche Regeneration des Bodens würde Jahrhunderte dauern. Darauf können wir nicht warten.".
26.11.2019, Herloher Kreisanzeiger und Zeitung, Martin Korte